Skitourenguru

Abgeschiedenheit

1. Motivation

Wo liegen die abgeschiedensten und wildesten Landschaften im Alpenbogen? Diese Frage interessiert uns seit jeher brennend, in der Schweiz und auch anderswo.

Auch Mountain Wilderness Schweiz beschäftigt sich mit dieser Frage und setzt sich dafür ein, dass es in der Schweiz künftig mehr grossflächige Wildnisgebiete gibt. Eine Basis dazu bildet die zusammen mit der WSL erarbeitete Wildnis-Studie aus dem Jahr 2019. Diese Studie beinhaltet eine GIS-Modellierung Wildnisqualität, welche sich aus 4 Kriterien zusammensetzt: Natürlichkeit, Menschliche Einflüsse, Abgeschiedenheit und Rauheit der Topografie.

Flächen mit hoher und höchster Wildnisqualität liegen gemäss der Studie von WSL/Mountain Wilderness vor allem in den Alpen, besonders im Bereich des Hochgebirges und der vergletscherten Gebiete. Doch weshalb sind Gletschergebiete deutlich wilder als beispielsweise bewaldete raue und kaum erschlossene Gebirgszüge im Tessin? Diese und weitere Fragen stellen sich bei näherer Betrachtung der Studie. Die Wildniskarte von WSL/Mountain Wilderness entspricht nicht unserer subjektiven Wahrnehmung von Wildnis.

Im Rahmen des Projektes Automatisch generierte Skitouren entstand als Beiprodukt eine Karte, welche für jeden Ort in der Schweiz die Abgeschiedenheit beschreibt. Schnell wurde klar, dass hiermit - quasi zufällig - unsere subjektive Wahrnehmung von Wildnis visualisiert war.

Unser Ziel ist eine Karte zum Thema Abgeschiedenheit zu entwickeln, welche auf breite Zustimmung stösst. Wir möchten hiermit unseren Beitrag zum Wildnis-Diskurs leisten und einen möglichst plausiblen und hochaufgelösten Blick auf die grossen und auch kleineren abgeschiedenen Gebiete lenken. Dabei muss stets auch der geforderte Umgang mit solchen Gebieten thematisiert werden. Im Optimalfall soll diese Abgeschiedenheits-Karte eine Weiterentwicklung der Wildniskarte von WSL/MountainWilderness anregen.

2. Verwendete Daten

Eine detaillierte Auflistung der verwendeten Grundlagendaten ist im Projektbeschrieb Automatisch generierte Skitouren zu finden. Ergänzend wurden die folgenden Daten verwendet:

  • Anstelle der Strassen und Wege aus OpenStreetMap wird swissTLM3D von Swisstopo verwendet.
  • Die Schneesportrouten SAC/Swisstopo fliessen ebenfalls in diese Arbeit ein.
  • Schutzgebiete (Wildruhezonen und Eidg. Wildtierschutzgebiete) werden nicht berücksichtigt.

3. Modell

Abbildung 1 zeigt die wesentlichen Berechnungsschritte von den Grundlagendaten bis zur Abgeschiedenheitskarte. Modelliert wird die Abgeschiedenheit, ausgedrückt in Gehstunden von jedem Punkt der Schweiz bis zum nächstengelegenen Ausgangspunkt. Als Ausgangspunkt dienen:

  • Haupt- und Nebenstrassen, ÖV-Haltestellen, Parkplätze, Skipisten.
  • Ergänzend auch Berghütten.
  • Befahrbare Forststrassen oder weitere Ausgangspunkte könnten ebenfalls berücksichtigt werden. Dies ist z.Z. nicht der Fall.

Die potenziellen Ausgangspunkte werden dabei nicht gewichtet, die Ausbreitung ab Strassen, Skipistenrand, ÖV-Endstation oder Ortszentrum beginnt immer bei Null. Die Ableitung der Kostenoberfläche Begehbarkeit für jeden Ort konnte dabei weitgehend aus dem Projekt Automatisch generierte Skitouren übernommen werden, ebenso die Parametrisierung der Kernberechnung (PathDistance). Bei der Kernberechnung ist es uns wichtig, einer realen Fortbewegung im Gelände nahe zu kommen. Um dies zu erreichen, muss die Begehbarkeit für jeden Ort beispielsweise auch mit kleinen Barrieren sorgfältig aufbereitet werden. Gerechnet wird deshalb mit einer räumlichen Auflösung von 10m. Die abstrakten, aufsummierten Begehungs-Kostenwerte werden am Schluss in Gehstunden umgewandelt. Die Umwandlungsformel wurde mittels Regressionsanalyse aus dem Routenset von Skitourenguru abgeleitet.

Abb. 1: Berechnungsschritte

4. Ergebnisse

Je nach Fokus ist es mehr oder weniger zielführend, Hütten ebenfalls als Ausgangspunkte zu behandeln. Das Ergebnis wird deshalb einmal mit und einmal ohne Berücksichtigung von Berghütten erzeugt. Der Einfluss der Hütten wird in Abbildung 1 ersichtlich. Als Synthese wird in Abbildung 2 der Mittelwert aus beiden Ergebnissen publiziert. Dieser bildet einen Mix aus unterschiedlichen Betrachtungen ab. Abgeschiedene Hütten werden auf diese Weise nicht Ausgangspunkten gleichgestellt, welche mit ÖV oder Auto erreichbar sind. Abgeschiedene Gebiete mit vielen Hütten bleiben jedoch deutlich weniger abgeschieden als Gebiete ohne Hütten.

In der Abbildung 2 erscheint eine interaktive Karte zur Abgeschiedenheit nach Eisenhut/Schmudlach. Da diese Karte hochaufgelöst ist, wird es möglich auch bis in Details zu zoomen.

Abb. 2: Abgeschiedenheitskarte gemäss Eisenhut/Schmudlach (Interaktive, hochaufgelöste Karte)

5. Diskussion

Das Vorgehen ist dem Ansatz der WSL zur Berechnung des Indikators Abgeschiedenheit (Remoteness) sehr ähnlich. Daher liegt ein direkter Vergleich auf der Hand:

Abb. 3: Abgeschiedenheit gemäss Eisenhut/Schmudlach

Abb. 4: Abgeschiedenheit gemäss WSL/MountainWilderness (Einfärbung ähnlich wie bei Abbildung 3)

Es fällt auf, dass die WSL-Karte (Abbildung 4) den Fokus auf das Hochgebirge setzt, während die Karte von Eisenhut/Schmudlach (Abbildung 3) die abgeschiedenen Gebiete am Alpensüdhang in den Vordergrund rückt.

Aus den folgenden Gründen sind die Resultate von Abbildung 3 und 4 derart unterschiedlich (Aufzählung nicht abschliessend):

  • Aufbereitung der Kostenoberfläche. Hier gibt es grosse Unterschiede beim Vergleich der beiden Arbeiten. Ein Beispiel ist der Umgang mit Gletschern. Bei der WSL-Karte werden diese pauschal als Barrieren definiert, während für die Karte von Eisenhut/Schmudlach Gletscher je nach Oberflächenbeschaffenheit (Hangneigung, Spaltenzonen) anders behandelt werden.
  • Wahl der Räumlichen Auflösung. Bei der Wahl einer räumlichen Auflösung von 10m (Abbildung 3) fliessen viele Geländesituationen angemessen in die Berechnungen ein und es kommen auch abgeschiedene Landschaften zum Vorschein, welche in Luftliniendistanz nicht weit vom nächstgelegenen Ausgangspunkt entfernt sind. Mit einer räumlichen Auflösung von 100m (Abbildung 4) lassen sich zahlreiche Barrieren nicht mehr abbilden und die Ausbreitung erfolgt in unterschiedlichem Gelände gleichmässiger.
  • Wahl der Ausgangspunkte. Hier gibt es noch viel Verbesserungspotenzial. Die Karte von Eisenhut/Schmudlach basiert aktuell aus einem pragmatischen Mix aus Sommer- und Winter-Ausgangspunkten. Im Einzelfall können diese irreführend sein. Eine Möglichkeit wäre eine präzise getrennte Definition (und allenfalls Gewichtung) von Sommer- und Winter-Ausgangspunkten mit einer anschliessenden Berechnung einer Abgeschiedenheitskarte Sommer und Winter.

Grundsätzlich liegt es nahe, dass hoch gelegene Orte abgeschiedener sind, als tief gelegene Orte. Interessant ist deshalb auch ein Vergleich von Korrelationskoeffizienten (Spearman) zu einem Höhenmodell:

  • Abgeschiedenheitskarte der WSL: 0.76 (mittlere bis hohe Korrelation mit dem Höhenmodell)
  • Abgeschiedenheitskarte von Eisenhut/Schmudlach: 0.34 (tiefe Korrelation mit dem Höhenmodell)
  • Finale Wildniskarte der WSL: 0.88 (hohe Korrelation mit dem Höhenmodell)

Eine vollständige Korrelationsmatrix findet sich in diesem Excel-File. Ergänzend zum Kriterium Abgeschiedenheit wäre es auch spannend, die weiteren Kriterien (Natürlichkeit, Menschliche Einflüsse, Rauheit der Topografie) genauer zu betrachten und deren Umsetzung bei Bedarf weiterzuentwickeln.

6. Fazit

Wir liefern mit diesem Beitrag keine neue Wildniskarte, aber eine Abgeschiedenheitskarte, welche aus unserer Sicht eine Weiterentwicklung der Wildniskarte von WSL/Mountain Wilderness anstossen soll.

7. Feedback

Die publizierten Karten sind als Beta-Version zu verstehen. Konstruktive und kritische Rückmeldungen sowie Fragen sind stets willkommen (siehe About).